Zweck einer Ausnahmevereinbarung
Gelten nach den zuvor genannten Regelungen die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, kann im Einzelfall eine Ausnahmevereinbarung darüber getroffen werden, dass für die beschäftigte oder selbstständig tätige Person anstelle der Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates die deutschen Rechtsvorschriften gelten. Wird eine solche Vereinbarung geschlossen, gilt sie stets einheitlich für alle von der EG-Verordnung 883/04 erfassten Zweige der deutschen Sozialversicherung (siehe unter sachlicher Geltungsbereich ).
Voraussetzung für den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung
Bei einer Ausnahmevereinbarung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der jeweils in den Mitgliedstaaten zuständigen Stellen. Grundvoraussetzung für den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung ist das Interesse der Person daran, dass für sie weiterhin die deutschen Rechtsvorschriften gelten sollen. Bei der Entscheidung werden Art und Umstände der Erwerbstätigkeit und im Falle von Beschäftigten insbesondere die arbeitsrechtliche Bindung an den in Deutschland ansässigen Arbeitgeber berücksichtigt. Eine solche arbeitsrechtliche Bindung liegt vor, wenn das bisherige Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht oder lediglich um zusätzliche Regelungen für die Zeit des Einsatzes im anderen Mitgliedstaat ergänzt wird.
Aber auch ein ruhendes Arbeitsverhältnis kann aus unserer Sicht eine ausreichende arbeitsrechtliche Bindung darstellen, wenn bestimmte Nebenpflichten (z. B. Berichtspflichten gegenüber dem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber, Fortführung der betrieblichen Altersvorsorge bei diesem Arbeitgeber) während des Auslandseinsatzes bei einem verbundenen Unternehmen bestehen bleiben und das bisherige Arbeitsverhältnis bei der Rückkehr nach Deutschland in vollem Umfang wiederauflebt.
Ferner muss sich der deutsche Arbeitgeber bereiterklären, die Beitrags- und Meldepflichten zur deutschen Sozialversicherung zu übernehmen. Als Bemessungsgrundlage hierzu dient das gesamte Gehalt, welches die Person – ggf. von mehr als einem Arbeitgeber – beanspruchen kann.
Zeitlicher Rahmen einer Ausnahmevereinbarung
Eine Ausnahmevereinbarung wird grundsätzlich nur für Beschäftigungszeiträume von bis zu maximal fünf Jahren getroffen. Bei der Berechnung des Fünf-Jahres-Zeitraums werden Zeiten einer vorherigen Entsendung in den anderen Mitgliedstaat angerechnet. Bei einer mehr als einjährigen Unterbrechung der Arbeiten in diesem Mitgliedstaat entfällt eine solche Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten.
Verlängert sich ein zunächst für maximal fünf Jahre geplanter Einsatz in den anderen Mitgliedstaat, kann aus unserer Sicht eine weitere Ausnahmevereinbarung für maximal drei weitere Jahre in Betracht kommen, sofern besondere Umstände der Beschäftigung die Verlängerung des Einsatzes in diesem Mitgliedstaat erfordern. Diese Gründe sind im Antrag vom Arbeitgeber oder der beschäftigten Person nachvollziehbar darzulegen.
Besonderheiten für Belgien
Von belgischer Seite wurden wir darüber informiert, dass man bereit ist, in folgenden Situationen eine Ausnahmevereinbarung zu treffen:
- Für die betreffende Person müssen unmittelbar vor der Entsendung nach Belgien mindestens einen Monat die deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit gegolten haben.
- Der deutsche Arbeitgeber muss allein über die Höhe des Entgelts und die Laufbahnplanung der Person entscheiden.
- Der deutsche Arbeitgeber ist für die Einstellung und Entlassung der Person zuständig und hat auch die (finanzielle) Last einer Entlassung zu tragen.
- Die Person darf keinen Arbeitsvertrag mit dem Unternehmen, in dem sie die Beschäftigung in Belgien ausübt, geschlossen haben.
- Die Haupt- und Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag zwischen der beschäftigten Person und dem deutschen Arbeitgeber müssen in vollem Umfang fortbestehen. Ein in Deutschland bestehendes Rumpfarbeitsverhältnis reicht nicht aus.
Von belgischer Seite wurden wir darüber hinaus informiert, dass Ausnahmevereinbarungen dort grundsätzlich für maximal fünf Jahre geschlossen werden. Dabei werden Zeiten einer vorhergehenden Entsendung bis zu 24 Monaten einbezogen. Bei Überschreitung des Zeitraums von fünf Jahren wird die Zustimmung nur in einigen Ausnahmefällen und gegebenenfalls unter dem Vorbehalt einer auflösenden Bedingung erteilt:
- Wenn die Höchstdauer um ein paar Monate überschritten wird, damit eine Aufgabe abgeschlossen werden kann (oder damit z. B. ein Nachfolger eingearbeitet werden kann, …). Der maximale zusätzliche Zeitraum beträgt sechs Monate.
- Wenn die betreffende Person innerhalb eines Jahres nach dem Ablauf der fünf Jahre umfassenden Entsendung aus dem Berufsleben ausscheiden wird (Altersrente, Frührente, Leben von den eigenen Vermögenswerten, …). Zur Bewilligung dieses zusätzlichen Zeitraums ist durch den Arbeitgeber ein schriftlicher Nachweis vorzulegen, in welchem das Datum angegeben ist, zu welchem die Berufstätigkeit enden wird. Dieses Dokument ist ebenfalls von der betreffenden Person zu unterzeichnen.
- Wenn gegen Ende der Entsendung eine sehr fundamentale Umstrukturierung (Fusion, Firmenübernahme, …) im Unternehmen umgesetzt wird, die die Aufgabe der Person, für die sie entsandt wurde, radikal verändert/erweitert. Diese Verlängerung wird nur nach ausführlicher Überprüfung genehmigt, wobei der zusätzliche Zeitraum maximal ein Jahr beträgt. Die Art der Umstrukturierung sowie deren Einfluss auf den Einsatz der Person sind gründlich zu beleuchten.
- Einer weiteren Ausnahmevereinbarung für eine beschäftigte Person, die erneut vorübergehend in Belgien beschäftigt ist, wird nur zugestimmt, wenn zwischen den Beschäftigungszeiten in Belgien mindestens ein Jahr liegt. Ansonsten erfolgt eine Zusammenrechnung der Beschäftigungszeiten. Dies gilt auch bei einem Wechsel des Arbeitgebers.
Sämtliche Ausnahmevereinbarungen werden von der belgischen Seite unter der Annahme abgeschlossen, dass das Unternehmen oder die betreffende Person garantiert, dass die beantragte Verlängerung auch die letzte sein wird und dass die Person anschließend in das Land zurückkehren wird, in welchem sie normalerweise arbeitet oder dass sie aus dem Berufsleben ausscheiden wird. Der Zweck dieser ausnahmsweise gewährten Verlängerung liegt darin, zu verhindern, dass es für einen kurzen und bereits zuvor festgelegten Zeitraum zu einer Unterbrechung im Sozialversicherungsverlauf der Person in dem Land ihrer gewöhnlichen Erwerbstätigkeit kommt. Es soll nicht einfach dazu dienen, den Anschluss einer Person an dieses Sozialversicherungssystem noch eine Weile länger aufrechtzuerhalten.
Sollte sich später herausstellen, dass dieses Versprechen nicht eingehalten wurde, erlischt die Grundlage dieser Vereinbarung und die betreffende Person erhält lediglich den Zeitraum zuerkannt, der allen anderen Beschäftigten in der gleichen Situation gewährt wird (fünf Jahre). Die sozialversicherungsrechtliche Situation wird also rückwirkend korrigiert.
Einige Argumente bleiben aus belgischer Sicht bei der Beurteilung eines Falles, in welchem eine über fünf Jahre hinausgehende Entsendung beantragt wird, grundsätzlich unberücksichtigt. Dies betrifft beispielsweise:
- Die Weiterversicherung in der privaten Krankenversicherung (wie beispielsweise bei Gruppenversicherungen). Alle bilateralen Sozialversicherungsabkommen dienen lediglich der Koordinierung der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Berücksichtigung eines solchen Arguments würde zur ungerechtfertigten Diskriminierung führen.
- Die besonderen Fachkenntnisse der Person und die Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Nachfolger. Alle langfristig entsandten Personen sind besonders kompetente Personen.
- Veränderungen und Entwicklungen des Marktes. Hierbei handelt es sich um eine Eigenart des Marktes und um ein unbegrenztes Argument.
In der Praxis kommt eine Ausnahmevereinbarung für eine vorübergehend in Belgien beschäftigte Person daher nur unter diesen Rahmenbedingungen in Betracht.
Zuständigkeit für den Abschluss von Ausnahmevereinbarungen
Für den Abschluss einer solchen Vereinbarung ist auf deutscher Seite der GKV-Spitzenverband, DVKA und auf belgischer Seite für Arbeitnehmer das Office national de sécurité sociale - Rijksdienst voor Sociale Zekerheid , Brüssel, zuständig. Es sind in jedem Einzelfall beide Stellen beteiligt.
Den Antrag auf Abschluss einer Ausnahmevereinbarung, nach der die deutschen Rechtsvorschriften gelten sollen, ist gemeinsam vom Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber oder von der selbstständigen Person beim GKV-Spitzenverband, DVKA zu stellen.
Elektronisches Antragsverfahren für den Arbeitgeber
Als Nachweis über die weitere Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit kann die A1-Bescheinigung beantragt werden. Der Antrag auf Abschluss einer Ausnahmevereinbarung für eine beschäftigte Person ist vom Arbeitgeber ausschließlich elektronisch an den GKV-Spitzenverband, DVKA zu übermitteln. Hinweise zum Verfahren finden Sie hier (Elektronisches Verfahren zur Beantragung von A1-Bescheinigungen - GKV-Spitzenverband, DVKA).
Elektronisches Antragsverfahren für Selbstständige
Als Nachweis über die weitere Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit kann die A1-Bescheinigung beantragt werden. Der Antrag auf Abschluss einer Ausnahmevereinbarung für eine selbstständig tätige Person ist ausschließlich elektronisch an den GKV-Spitzenverband, DVKA zu übermitteln. Hinweise zum Verfahren finden Sie hier (Elektronisches Verfahren zur Beantragung von A1-Bescheinigungen - GKV-Spitzenverband, DVKA).